Hannover, 20. August 2000, auf der
Expo: „Mexikanischer Nationentag“ Schon lange haben wir auf den
vierteljährlichen „YaBasta!-Treffen“ darüber nachgedacht, was auf der Expo
anläßlich des „Mexikanischen Nationentages“ am 20. August 2000 zu tun ist; an
dem Tag, an dem gleichzeitig in Chiapas Gouverneurswahlen stattfinden. In
Chiapas, dem vergessenen südlichsten Bundesstaat Mexikos, der irgendwo
zwischen Guatemala und der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA liegt, in
dem der höchste indigene Anteil an der Bevölkerung auszumachen ist, und der
daher auch der ärmste ist. Jedoch an ökonomisch verwertbaren Ressourcen
immerhin so reich, daß die mexikanische Regierung mit ihrem Militär und
verschiedenen Polizeien u.a. im Auftrag einiger Banken und – selbstverständlich
auch deutscher - Konzerne dort einen Krieg führt. Einen „stillen“ Krieg gegen
jene, die ihren Verwertungsinteressen im Weg stehen: Indígenas bzw.
Bäuerinnen und Bauern, die für die Verwirklichung ihrer Autonomie und ihrer
Lebensideale eintreten. Einen Krieg, der so unscheinbar abläuft, daß die Welt
nichts über ihn erfährt, da er nie in den nationalen oder internationalen
Medien auftaucht, geschweige denn auf der Expo! Wir wollten auf die rassistischen,
kapitalistischen und partiarchalen Gewaltverhältnisse aufmerksam machen, die
der Unterdrückung und Ausbeutung in Mexiko zugrunde liegen, wie auch der
„neoliberalen Umstrukturierung“ des ganzen Landes. Wir wollten uns
solidarisch zeigen mit jenen, die in Mexiko Widerstand geleistet haben und
immer noch leisten - und die uns so Mut gemacht haben, hier auch etwas zu
tun. Wir wollten dafür sorgen, daß sie erfahren, daß wir sie nicht vergessen
haben, daß sie für uns immer noch zum Bild Mexikos und zur Geschichte
dazugehören. Unser ursprünglicher „Plan“ war, die Bühne
bei der Eröffnungsfeier so lange wie möglich in Beschlag zu nehmen und - laut
Parolen rufend - Transparente hochzuhalten. Unterdessen sollten Flugblätter
verteilt werden, um unsere Inhalte ausführlicher vermitteln zu können. Unser
Ziel war, die Jubelberichterstattung der mexikanischen Medien mit unserem
kritischen Beitrag „zu bereichern“, so daß in Mexiko nicht zuletzt auch viele
Widerständige von unserer Aktion erfahren würden... Gedächtnisprotokoll: Um kurz nach 10 Uhr begeben wir uns zur
Expo-Plaza, wo die offizielle Eröffnungsfeier des „Mexikanischen
Nationentages“ bereits begonnen hat. Auf der Bühne spielt eine mexikanische
Folklorekapelle, dahinter wartet eine deutsche Polizeikapelle auf ihren
Auftritt: das Spielen beider Nationalhymnen. Vor der Bühne, innerhalb einer
deutlichen und gut bewachten Absperrung, befinden sich ausschließlich VIP’s
(„Very Important Persons“), eine Mischung aus reichen Deutsch-MexikanerInnen,
mexikanischen FunktionärInnen der mittleren Ebene und deren Angehörige. Um die
Absperrung herum stehen v.a. jubelnde MexikanerInnen und von ihrem letzten
Mexikourlaub begeisterte Deutsche. Es herrscht „Fiesta-Stimmung“, fast alle
schwingen kleine Mexiko-Fähnchen und ab und zu branden Sprechchöre durch die
„Menge“: „México, México, Ra-Ra-Ra!“. Neben der Expo-Chefin Birgit Breuel
halten ein mexikanischer Minister und der mexikanische Botschafter fiese,
z.T. nationalistische Ansprachen. Anlässe für den Beginn unserer Aktion gibt
es reichlich. Wir versuchen, an die Absperrung zu gelangen, aber das hat
keinen Zweck – zu voll! V.a. Alte und Kinder versperren uns den Weg dorthin.
Also müssen wir die Transparente wohl im Publikum zeigen, wenn wir niemanden
verletzen wollen. Sie sind dann zwar nicht so gut zu sehen, aber eine Störung
des Ablaufs kriegen wir auf jeden Fall hin, und es ist außerdem genug Presse
in „unserer“ Ecke, die – so sie denn will – gute Bilder machen kann. Unsere Gruppe teilt
sich, um in der Menge besser agieren zu können, und mein Compa und ich nehmen
uns das kleinere „Stoppt den Krieg in Chiapas!“-Transparent. Die anderen
haben das riesige, auf dem die EZLN (=„Zapatistisches Befreiungsheer“, so
heißt die Guerilla in Chiapas) und der Allgemeine Streikrat der Studierenden
sowie der „weltweite Widerstand“ hochleben gelassen wird, und auf dem die
Freilassung der politischen Gefangenen gefordert wird... Da wir nicht zur
Bühne kommen, kriegen wir ein bißchen Frust: „Wir können nichts machen! Hier
können wir nichts machen!“. Dennoch haben wir‘s gemacht! Plötzlich steht
rechts von uns das ca. sechs Meter lange und 1,50m hohe Transparent unserer Compañer@s unübersehbar in der Luft, umrahmt von ziemlich
irritierten MexikanerInnen und Touri-Deutschen, begleitet von Rufen wie
„Stoppt den Krieg in Chiapas! Stoppt den Neoliberalismus!“. Wir rollen nun
auch unser sorgsam verborgenes Transpa aus. Doch es wird bald von den
Umstehenden herabgedrückt. Eine sagt: „Später, später! Jetzt kommen doch die
Mariachis!“. Wir halten es natürlich trotzdem hoch, und nach einiger Zeit
kommen auch zu uns die Security-Leute. Sie schreien uns an: „Later, later!“
und „Get out of here!“. Schließlich versuchen sie, uns das Transpa
abzunehmen. Mein Compa und ich trennen uns, ich nehme das Transpa und renne
los. „Die Bösen“ rennen hinter mir her, und ich merke, daß es ausweglos ist.
Also schlage ich noch einmal einen Haken und renne zurück Richtung
Absperrung, hinter der direkt die Presse steht, um – das Transpa in die Höhe
gereckt – wenigstens noch ein, zweimal hochzuspringen, bevor ich
„festgenommen und abgeführt“ werde. Eine total absurde Aktion. Aber lustig! Kaum, daß mich zwei
Security-Leute zwischen sich genommen haben, gesellt sich eine Reporterin der
„La Jornada“ sowie ein Reporter der „Reforma“ (beides mexikanische Tageszeitungen)
zu mir und interviewen mich. Der von der „Reforma“ macht Bilder von mir und
dem kleinen Aufkleber, den ich am Hemd trage („Stoppt den Krieg in
Chiapas/Mexiko! Solidarität mit der EZLN!“). Es ist zwar lange her, aber ich
kann noch genug Spanisch, um ihnen ausführlich zu erklären, welche warum hier
protestiert haben. Ich strahle dabei über das ganze Gesicht – Ziel erreicht! (Ab hier geht das
Gedächtnisprotokoll los, das ich während meines „Gewahrsams“ machte, um nicht
mit den Bullen reden oder sie angucken zu müssen – empfehlenswert, wenn es
möglich ist!) Ich werde zur
Polizeiwache Ost auf dem Expogelände geführt. Die Reporterin kehrt zur
Jubelfeier zurück, der Reporter kommt noch bis in den Vorraum der
Polizeiwache mit. Dort muß er warten. Als ich die Wache betrete, ist dort ein
ziemliches Durcheinander, denn meine Compañer@s, die
mit dem anderen Transpa, sind schon dort. Einen Moment später werden sie in
einen Büroraum geführt, mich führt ein BGSler in einen anderen. Ein zivil
gekleideter BGSler mit Knopf im Ohr, nein, nein, kein „Steifftier“, sondern
ein „Herr Plauzen“ eröffnet mir, daß ich zwar hier „in Gewahrsam“ sei, daß
ich aber relativ bald wieder draußen wäre. Sofort telefonieren, wie ich
verlangte, könne ich nicht, denn bei solchen „Kurzaufenthalten“ sei dies
„nicht möglich“. Und außerdem bin ich hier nur, um zu gewährleisten, daß ich
nicht zur „Fiesta“ zurückgehe und erneut störe. Der BGS warte nun darauf, daß
die Expo GmbH den Antrag stellt, mich vom Gelände führen zu dürfen, und schon
wäre ich wieder frei. Nach einer oberflächlichen Leibesvisitation, bei der
mir verschiedene Sachen abgenommen wurden, bleibe ich in dem kleinen
Büroraum. Mittlerweile habe
ich einen „persönlichen Bewacher“ bekommen, der auf mich aufpaßt. Im
„Papa-Ton“ fragt er mich, wo ich herkomme, versucht mich dann, in ein
Gespräch zu verwickeln, das scheinbar mit dem ganzen drumherum nichts zu tun
hat, und streut Fragen ein, wann ich angereist sei. Er erklärt, er sei aus
Süddeutschland, jedoch bemerke ich seinen norddeutschen Akzent und denke, daß
ich schon mitten in ihrem „Psychospiel“ drin bin. Gruselig! Ich sage, daß er
seine Verhörfragen lassen könne und bestehe mit Nachdruck darauf, zu
telefonieren. Er sagt, dies sei nicht möglich. Ich frage ihn, ob er mir nicht
sein Handy leihen kann, darauf er: „Das ist privat! Das bezahlt mir keiner! Wenn es sein muß, bekommen Sie schon
die Möglichkeit, zu telefonieren!“. Ich schreibe wieder, und mein „Bewacher“ geht
raus und redet mit dem BGSler, der anscheinend den Flur bewacht. „Der da
drinnen ist ganz nett!“ sagt er, worauf der Flurposten entgegnet:
„Schriftsteller, ne?“. Daraufhin kommt er wieder rein. Nach einer Weile
fordere ich zum dritten Mal, zu telefonieren, da mein Aufenthalt auf der
Wache nun schon eine gute halbe Stunde dauern würde. Mein Gegenüber erläutert
mir, daß „die Beamten schon mit ihren eigenen privaten Handies telefonieren“
müßten, da es „technische Probleme“ gebe. Ich sage, daß ich mir dies nicht
vorstellen könne, und daß ich diese Begründung für vorgeschoben halte. Er
versucht immer wieder, mich in ein persönliches Gespräch zu ziehen, aber ich
sage, daß ich mich lieber auf mein Schreiben konzentrieren wolle. Im Flur will ein
zivil gekleideter BGSler (oder wer auch immer!) auf die Toilette, weigert
sich aber, das „Gästeklo“ zu benutzen. „Wo ist denn ‚unseres‘?“, fragt er die
Flurwache. Ein Bullenarsch ist wohl zu fein für das gemeine Gästeklo, denke
ich. Daraufhin erläutert mir „mein persönlicher Bewacher“, warum „hier alles
so chaotisch ist“: der BGS ist hier in der Polizeiwache „nur Gast“. Warum ist
denn wohl der BGS hier, und nicht wie üblich die Polizei? Ausgerechnet heute,
wo eindeutig mit „Störungen und Demonstrationen“ gerechnet wurde. Ist der BGS
besser für solche Einsätze gerüstet? Aber warum produzieren sie dann ein
solches Durcheinander? Sind die am Ende doch nicht so perfekt, wie es immer
scheint? Karrierekonkurrenz, Kompetenzgerangel, lange Dienstwege,
Bürokratismus, fehlende Spontaneität: Werden wir doch siegen? Zur Abwechslung
fordere ich noch einmal „nachdrücklich“, zu telefonieren, es sei „mein Recht“
- eine hohle Phrase in diesen heiligen Hallen. Das Telefonat wird mir
verwehrt, da der Kollege, der das ermöglichen könne, gerade selbst am
Telefonieren sei... Ich schreibe jetzt nur noch, um nicht mit „meinem
persönlichen Bewacher“ reden zu müssen. Diese Situation gefällt ihm
anscheinend nicht, und er herrscht mich an: „Stellen sie dieses Schreiben
ein! Legen sie den Zettel weg!“. Er pflanzt sich vor mir auf und will wirklich,
daß ich den Zettel weglege. Ich sage, daß ich dann sofort telefonieren
möchte. Mit Nachdruck: „Aber sofort!“. Daraufhin läßt er von mir ab, erklärt
mir aber noch, daß ich „hier in Gewahrsam“ sei und überhaupt von Glück sagen
könne, daß ich diese Sachen überhaupt noch bei mir hätte. Nun äußere ich den
Wunsch, auf die Toilette zu gehen. Als ich fast drinnen bin, frage ich
„meinen Bewacher“, ob er denn wirklich aus dem Süden käme, wie er behauptete.
Er habe doch offensichtlich einen norddeutschen Akzent. „Na, dann geben sie
mal einen Tip ab!“, fordert er mich auf, und ich sage: „Hammbuuuich?“.
„Rrrichdich“, sagt er. Ich frage ihn laut, ob er mich mit dem Telefonieren
genau so belogen hätte und gehe verärgert aufs Klo... Von dort
zurückkommend, sehe ich meine Compañer@s, die
schon wieder vorne im Wachraum sitzen und auf mich warten. Sie sind in
Rufweite und fragen mich, ob alles klar sei. Es ist ein beruhigendes Gefühl,
sich nicht alleine zu wissen. Ich antworte: „Ich will hier raus, und
telefonieren!“. „Mein persönlicher Bewacher“ geht dazwischen und geleitet
mich zurück in „mein Büro“. Kurz darauf ist Hektik im Flur: die BullETTen
versuchen, das lange Transparent zu lesen: „Spanisch, oder was?“. Ein ganz
Schlauer meint provokativ-witzelnd: „Vielleicht ist das auch irgendein
Hochgesang auf Mexiko!“. Solche mag ich am liebsten! Dann buchstabieren sie
die Worte der ihnen fremden Sprache: „Viktor-Imanuel-Viktor-Alpha, neues
Wort: Emil-Ludwig, neues Wort: Emil-Zorro-Ludwig-Nordpol“. Später versuchen
sie, die Worte zu übersetzen. Dabei machen sie aus dem Satz „Ya se mira los
vientos del cambio...“ (=„Die Winde der Veränderung sind schon zu sehen...“)
das folgende Konstrukt: „Wir sehen, und während wir schauen, haben die Winde
gewechselt...“. Wow! Das ist Kriminologie! Das ist Wissenschaft in Vollendung
– und da faseln die Bullen ständig von „Erkenntnissen“! Dann sagt einer:
„Hier im Flur kriegen wir das nicht fotografiert, gehen wir doch raus!“,
darauf ich: „Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Gehen sie doch zur Bühne
und halten es hoch!“, woraufhin ich auf meinen Stuhl zurückgedrückt und mit
Mißfallensbekundungen bedacht werde. Aber ich kann das Lachen hören, das vom
Wachraum durch den Flur zu mir herüberschallt. Einige Augenblicke später rennen mehrere
Typen in Anzügen mit Knöpfen in den Ohren durch den Flur. Einer grüßt mich
sehr freundlich, ich ihn aber nicht zurück. Statt dessen quatsche ich jetzt
jedeN an, ob ich denn nicht endlich telefonieren darf, wo doch schon mindestens
eine Stunde seit meiner „Festnahme“ vergangen sei. „Freiheitsberaubung“ heiße
ich verärgert diesen Zustand. Und dann wird mir plötzlich eröffnet, daß ich
meine Sachen packen und gehen kann. Im Wachraum muß ich noch dafür sorgen,
daß ich auch alle Papiere, Flugblätter und sonstwas, dessen ich beraubt
wurde, zurückbekomme, von allein geben mir die Bullen nur meinen Führerschein
und mein Schlüsselbund nebst Fahrradknochen zurück. Nach einem kurzen
Wortgefecht über Behördenwillkür werden wir an die Expo-Security übergeben
und von diesen sportlichen jungen Herren zum Ausgang begleitet. Alles geht
sehr flott, so daß der „Reforma“-Reporter Mühe hat, mitzukommen. Draußen
trotzt er uns dennoch eine halbe Stunde Interview ab, in der wir viel über
unsere Aktion und deren Hintergründe erzählen können, und er macht noch ein
paar gestellte Fotos von uns mit den Transparenten! Das Ergebnis war dann ein
Foto und zumindest die positive Erwähnung unserer Aktion in seinem Artikel
über den „Mexikanischen Nationentag“ auf der Expo2000. Und mittlerweile sind
per E-Mail einige positive Feedbacks aus Mexiko rübergekommen... Abends liefen auch noch Aktionen mit
Transparenten und Flugblättern am Mexikanischen Pavillon, aber darüber sollen
andere berichten, die dabei waren. Franziskus
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